ÜBERSETZUNGEN

Kann man einen Gedanken wirklich übersetzen? Von Nabokov bis Hannah Arendt – wer Sprache überträgt, verändert sie. Und doch sind Übersetzungen Brücken: unvollkommen, aber notwendig, damit wir einander verstehen.

Über Übersetzungen – Vom Verlieren und Finden der Worte

Es gibt Sätze, die in einer fremden Sprache klingen, als wären sie dort zu Hause. Und dann gibt es die Sätze, die einfach nicht umziehen wollen. Worte, die ihre Farbe verlieren, wie ein Stoff, der zu oft gewaschen wurde. Übersetzen ist eine Kunst des beinahe. Ein Versuch, Literatur Kultur- und Sprachübergreifend erfahrbar zu machen.

Jede Übersetzung ist eine Interpretation – und jede Interpretation ist ein Verrat. Das wusste schon Nabokov, der seine Werke selbst übersetzte, weil er niemandem traute, der seine Sätze zu glatt oder zu frei behandelte. Sein wohl berühmtestes Werk Lolita existiert in einer englischen und einer russischen Fassung, beide von ihm selbst, und doch sind sie keine Zwillinge, sondern Spiegelbilder: leicht verschoben, unterschiedlich beleuchtet, in jedem Detail ein Kommentar auf das andere. Nabokov glaubte, dass Übersetzen ein Akt der Demut sei – aber auch der Selbstbehauptung. Wer übersetzt, tritt in einen Dialog mit dem Original, in dem Respekt und Anmaßung untrennbar sind.

Hannah Arendt wiederum wusste, wie gefährlich es ist, wenn ein Gedanke in der falschen Sprache landet. Eichmann in Jerusalem – oder, Die Banalität des Bösen – war ein Werk, das sie zwar auf Englisch schrieb, aber innerlich auf Deutsch dachte. Sie suchte jahrelang nach einer Übersetzerin, die die Balance zwischen Nüchternheit und Schärfe, zwischen Ironie und moralischem Ernst wahren konnte. Denn das Böse, so Arendt, ist banal gerade in seiner sprachlichen Bequemlichkeit – und jede falsche Übersetzung drohte, diese Banalität zu beschönigen oder zu überspitzen.
Ihre Suche war also mehr als philologisch: Sie war ethisch. Wie übersetzt man einen Gedanken, der eine ganze Zivilisation befragt?

Und dann ist da Swetlana Geier – die „Dame mit den fünf Elefanten“, wie sie später genannt wurde. Fünf, das waren ihre großen Dostojewski-Übersetzungen: Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Brüder Karamasow, Die Dämonen und Der grüne Junge. Geier war überzeugt, dass eine gute Übersetzung nicht modernisieren, sondern „atemholen“ müsse. Ihre Sprache ist klar, präzise, fast still. Sie nannte Übersetzen „ein Liebesverhältnis“, und vielleicht hat sie recht. Wer übersetzt, muss sich der Sprache des anderen anpassen, ohne sich selbst zu verlieren. Ein guter Übersetzer liebt den Text nicht nur, er widerspricht ihm auch.

Doch warum ist das so schwer?
Weil Sprache keine reine Form ist, sondern Welt.
Worte funktionieren in sozialen und kulturellen Kontexten, tragen Geschichte, Rhythmus und Gesten. Ein deutsches „Herz“ ist nicht dasselbe wie ein englisches „heart“, nicht weil die Bedeutung sich ändert, sondern weil die Assoziationen andere sind. In jeder Sprache klingt das Denken anders. Deshalb ist Übersetzen kein Übertragen, sondern ein Neuerschaffen.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – brauchen wir Übersetzungen. Sie sind Brücken über Abgründe, die wir sonst nie überqueren könnten. Ohne sie bliebe unsere Welt klein und einseitig. Eine gute Übersetzung ist wie ein Fenster: Man sieht hindurch, auch wenn das Glas nie ganz unsichtbar ist.

Aber man sollte nicht vergessen, dass man durch Glas blickt.
Es gibt Texte, die nur in ihrer Sprache ganz sind – Celans Todesfuge, Pessoa, Shakespeare, die Psalmen. Und doch ist es besser, sie halb zu verstehen, als gar nicht zu hören. Übersetzungen lehren uns, dass Verstehen immer Annäherung ist.

Vielleicht liegt in dieser Unvollkommenheit das Schönste: dass wir weiter versuchen.
Worte zu tragen, die uns nicht gehören. Gedanken nachzusprechen, die älter sind als unsere Zungen.
Und dass wir – in dieser Bewegung zwischen Fremdem und Eigenem – ein wenig näher an das herankommen, was alle Sprachen gemeinsam haben: das Bedürfnis, gehört zu werden.

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